Brodbeck: Phänomenologie des Geldes
Blick vom untersuchten Gegenstand hin zur Denkformen, in denen er gedacht wird. Das ist Phänomenologie. Sie organisiert sich immer durch das Bewusstsein.
Das Geld verbindet die Menschen zu einer Gesellschaft auf eine Weise, die wissenschaftlich aufzudecken fuür das Verstaändnis der Krisen in der Gegenwart unabdingbar ist. Gesellschaft immer nur durch das Bewusstsein hindurch organisiert.
Die Disziplin, die eigentlich das Geld in den Mittelpunkt ihrer Analyse ruücken muüsste, wird aber auf weiten Strecken so formuliert, als gaäbe es kein Geld, oder man setzt es einfach voraus.
Der japanische Zen-Meister Shunryu Suzuki sagte: „Des Anfängers Geist hat viele Möglichkeiten, der des Experten hat nur wenige.“ (Shunryu Suzuki 1970, 21) Im Expertengeist festgefahren, moöchte ein O?konom, falls man ihn kritisiert, ein anderes Modell zu erneutem Festhalten praäsentiert bekommen.
Geld ist als Begriff und als bestimmende Kategorie in der menschlichen Gesellschaft ein Novum. Es ist nicht (weder logisch noch historisch) aus früheren Formen erklärbar, weil es Eigenschaften hat, die voöllig neu sind.
Alle Teilnehmer an einer durch das Geld organisierten Wirtschaft müssen das Geld als Geld anerkennen. Geld muss allgemein gelten, das heißt, es muss „allen gemein sein“, dass sie Geld als Geld anerkennen.
Die „Substanz“ des Geldes ist eine soziale, kollektiv erzeugte und darin zirkuläre Illusion der Geltung.
Geld hat keine Substanz – außer dem allgemeinen Vertrauen in seine Geltung. Doch dieses Vertrauen ist kein Ding, sondern ein alltäglich vollzogener Denk- und Handlungsprozess.
Der Preis, die Bewertung in Geld, spricht zudem ein unaufhörliches Werturteil über Phänomene der Natur, auch über andere Menschen aus.
Die Geldverwendung ist notwendig der Vollzug einer Rechnung. Es mag ohne Geld früher schon einfache Formen des Zählens und Rechnens gegeben haben; historische, archäologische Indizien dafür gibt es zweifellos. Erst durch die Geldverwendung gibt es aber das Rechnen an sich, das Rechnen in einer abstrakten Einheit.
Dass man alle Dinge in einer abstrakten Einheit misst – was in unserem alltäglichen Rechnen selbstverständlich scheint –, das muss sich einem anderen Phänomen verdanken, einem Phänomen, worin alle Dinge mit demselben Maß gemessen werden. Eben dies tun wir alltäglich in der Geldrechnung. Das Geld ist die leere Abstraktion einer Eins im Rechnen.
Warum ist es möglich, dass ein „Nichts“ wie die Null Werte vermehrt? Das ist phänomenologisch nur möglich, weil die Einheit (die Eins) aller Rechnungen selbst leer, nämlich eine soziale Illusion ist.
Das Geld ist nicht nur abstrakte Einheit einer Rechnung. Geld wird immer wieder ausgegeben; nur in seiner Bewegung liegt seine Funktion.
Die Geldverwendung vergesellschaftet die Menschen.
Geld ist eine Marktzutrittsschranke. Die grundlegende, für Geldökonomien charakteristische Motivation: Das Streben nach Geld. Geld als Rechnungseinheit hat keinen Nutzen. Wir benötigen Geld zur Marktteilnahme.
In der katholischen Theologie hat man die Begriffsunterscheidung von Konsumentenkredit und Produzentenkredit eingeführt.
Die moderne Ratio, das vereinzelt denkende und rechnende Subjekt, das Rene Descartes durch seine Philosophie auf den philosophischen Thron gehoben hat, mag seine Herkunft aus dem Geld vergessen haben, es wird dennoch zuinnerst von ihm regiert.